Ihre Meinung ist uns wichtig, daher freuen wir uns über Ihr Feedback!

Wir möchten uns stetig verbessern, um Ihnen relevante Inhalte und einen guten Service bieten zu können.

Dieses wird unabhängig durch das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer (FÖV) erhoben. (externe Internetseite).

Interview: „Schnellerer Netzausbau und Naturschutz – es ist unser gesetzlicher Auftrag, beiden Seiten gerecht zu werden.“

Als Bundesbehörde ist die Bundesnetzagentur (BNetzA) im Bereich Stromnetze für die Genehmigung aller großen Projekte zum Stromnetzausbau zuständig. In den formellen Verfahren für den Stromnetzausbau nimmt sie damit eine zentrale Rolle ein. Wofür genau ist sie zuständig und wie beteiligt sie die BürgerInnen an den Planungs- und Genehmigungsverfahren? Was hat sich diesbezüglich in diesem Jahr verändert? Dazu sprechen wir mit Matthias Otte, Leiter der Abteilung 8 – Ausbau Stromnetze bei der Bundesnetzagentur.

Sehr häufig bekommen wir Fragen zum Bedarf, also warum man eine bestimmte Stromleitung braucht. Wir schildern vor allem, wie eine bestimmte Entscheidung zustande kommt.

Matthias Otte

Herr Otte, im YouTube-Format „Otte erklärt’s“ beantworten Sie Fragen
rund um den Stromnetzausbau in Deutschland. Welche Fragen sind die
häufigsten?

Matthias Otte: Sehr häufig bekommen wir Fragen zum Bedarf, also warum man eine bestimmte Stromleitung braucht. Die Antwort darauf ist hochkomplex, und in dem Format wollen und müssen wir natürlich vereinfachen. Das kommt bei vielen aber gut an.

Wie erklären Sie denn, warum wir eine bestimmte Leitung brauchen?

Wir schildern vor allem, wie wir vorgehen, also wie eine bestimmte Entscheidung zustande kommt. Stellen wir beispielsweise fest, dass eine Leitung überlastet ist, schauen wir in Simulationen, wie sich das Problem beseitigen lässt. Dazu rechnen Hochleistungsrechner tagelang und tun gewissermaßen so, als gäbe es eine neue Leitung schon. Es ist oft sehr hilfreich, dieses Vorgehen zu erklären.

Inwiefern?

Weil es den von manchem gehegten Verdacht entkräftet, ein Übertragungsnetzbetreiber würde einfach nach Gutdünken entscheiden. Das ist mitnichten so. Nur lassen sich die hochkomplexen Berechnungen eben nicht einfach auf dem privaten Rechner nachvollziehen.

Welche Fragen kommen noch häufig?

Fragen zum Gesundheitsschutz. Ist es gefährlich, wenn eine neue Stromleitung in meiner Nähe entsteht? Wie ist das mit elektrischen und magnetischen Feldern? Zum Teil kommen auch sehr konkrete Fragen: Wie laut sind die Baumaschinen und wie lange dauern die Bauarbeiten?

Freut Sie solch ein konkretes Interesse? Schließlich kommen Sie so mit den Betroffenen ins Gespräch.

Ja, unbedingt! Zum einen merken wir, wie besorgt manche Menschen sind, und sind froh, wenn wir bestimmte Befürchtungen nehmen können. Zum anderen freut es uns, dass die Menschen sich an uns wenden, statt auf Informationen im Internet zurückzugreifen, die mitunter nicht gut aufbereitet sind.

Sie meinen, dass auch viele Falschmeldungen zum Thema Stromnetzausbau kursieren?

Das zum Teil auch, vor allem aber werden manchmal Äpfel mit Birnen verglichen.

Wie zum Beispiel?

Etwa bei der Frage, ob Gleichstromleitungen gefährlich sind. Bei der Antwort verweisen manche auf Studien wie die Bristol-Studie, die sich aber mit Wechselstromleitungen beschäftigt haben. Da versuchen wir, zu differenzieren.

Welche gesetzlichen Grundlagen sind für den Stromnetzausbau besonders relevant?

Ich erkläre das gerne anhand der fünf Schritte des Stromnetzausbaus.

Zentral ist die Umweltverträglichkeit. Die prüfen wir in jeder Phase, schon ab der Bedarfsermittlung.

Matthias Otte

Ja, bitte.

Im ersten Schritt des Verfahrens, im Szenariorahmen, geht es darum, wo künftig der Stromverbrauch stattfindet und wo die Erzeugungsanlagen stehen. Für den Netzentwicklungsplan leiten die Netzbetreiber daraus ab, welche neuen Leitungen notwendig sind. Diese ersten beiden Schritte haben ihre Grundlage im Energiewirtschaftsgesetz. Da beginnt die Reise.

Wie geht es dann weiter?

Im dritten Schritt ist der Gesetzgeber an der Reihe, mit dem Bundesbedarfsplangesetz. Im Bundesbedarfsplan stehen die einzelnen Leitungsbauvorhaben – das kann, muss sich aber nicht mit dem Netzentwicklungsplan decken. Dann kommt im vierten Schritt die Bundesfachplanung.

Was geschieht da?

Vereinfacht gesagt schauen wir da, wie wir von einem Punkt A zu einem Punkt B kommen. Dafür gibt es ja mehrere Möglichkeiten. Im fünften und letzten Schritt geht es dann um den konkreten Trassenverlauf: Wo kommt die Leitung hin? Soll sie als Freileitung oder als Erdkabel ausgeführt werden? Und Vieles andere mehr. Grundlage für diese letzten beiden Schritte ist das NABEG, das Netzausbaubeschleunigungsgesetz. Für die konkrete Prüfung vor Ort gelten dann viele weitere Gesetze und Vorschriften.

An welche Aspekte denken Sie besonders?

Zentral ist die Umweltverträglichkeit. Die prüfen wir in jeder Phase, schon ab der Bedarfsermittlung mit der sogenannten strategischen Umweltprüfung. Da schauen wir auf mögliche erhebliche Umweltauswirkungen.

Und was stellen Sie beispielsweise fest?

Die sogenannten roten Riegel. Also Naturschutzgebiete, die wir nicht durchqueren können. Oder Moore. Die müsste man für den Leitungsbau trockenlegen, das wäre ganz schlecht. Auch durch Siedlungen und Wohnbebauung können wir keine neue Leitung legen. Und das Landschaftsbild spielt natürlich auch eine Rolle.

Können Sie diese vielen verschiedenen Aspekte überhaupt alle berücksichtigen?

Es ist zumindest unser erklärter Anspruch, nichts zu übersehen. Ein Beispiel: Bei Erdkabeln spielt das Thema Vogelkollision natürlich keine Rolle. Der Vogelschutz kann aber relevant sein, wenn in einem Gebiet Bodenbrüter leben. Dann muss man prüfen, ob außerhalb von Brutzeiten gebaut werden kann. Bei Freileitungen für Wechselstrom wiederum müssen die gesetzlichen Grenzwerte genau eingehalten werden. Da spielt dann zum Beispiel die Höhe der Masten eine Rolle.

Schnellerer Netzausbau und Naturschutz – es ist unser gesetzlicher Auftrag, beiden Seiten gerecht zu werden.

Matthias Otte

Schnellerer Ausbau auf der einen, Naturschutz auf der anderen Seite – mit dem
Widerspruch müssen Sie leben?

Ja, zumal es unser gesetzlicher Auftrag ist, beiden Seiten gerecht zu werden. Und das wollen wir auch. Da waren die Gerichte in der Vergangenheit sehr streng. Für eine Genehmigungsbehörde wie die Bundesnetzagentur ist nichts schlimmer als ein sogenannter Abwägungsausfall – dass wir also irgendeinen wichtigen Aspekt nicht ausreichend berücksichtigt haben und ein Gericht deshalb eine unserer Entscheidungen zurücknimmt.

Schauen wir einmal auf die Beteiligungsmöglichkeiten. Was hat denn in diesem Punkt das NABEG gebracht?

Eine frühe Beteiligung der Öffentlichkeit. Das finde ich ganz wichtig. Und in der Bundesfachplanung später sind ja mehrere Beteiligungsschritte vorgesehen, insbesondere die Antragskonferenz. Wer gegen die veröffentlichten Unterlagen eine Einwendung erhoben hat, kann am Erörterungstermin teilnehmen – das ist dann schon der letzte Termin, bevor die Bundesnetzagentur eine Entscheidung trifft.

Inwiefern nutzen die BürgerInnen diese Beteiligungsmöglichkeiten?

Das ist ganz unterschiedlich. In manchen Regionen sind überwiegend Träger öffentlicher Belange vor Ort und nur wenige Bürgerinnen und Bürger. In den sogenannten Hotspots haben wir auch schon mal dreistellige Besucherzahlen von Privatpersonen.

Die Bündelungsvorschrift besagt, dass man vorhandene Leitungen soweit und so lange wie möglich nutzen möchte, etwa durch Zu- oder Umbeseiligung oder durch eine Masterhöhung.

Matthias Otte

Auch das sogenannte Osterpaket der Bundesregierung zielt ja unter anderem darauf, den Ausbau zu beschleunigen. Inwiefern ist das gelungen?

Etwa mit der Bündelungsvorschrift. Dieses klare Bekenntnis ist für uns als Genehmigungsbehörde hilfreich. Es besagt, dass man vorhandene Leitungen soweit und so lange wie möglich nutzen möchte, etwa durch Zu- oder Umbeseiligung oder durch eine Masterhöhung.

Das steht aber manchem Wunsch nach Verschwenkung, also einer möglichen Umlegung bestimmter Leitungen, entgegen …

In der Tat. Für die Kommunikation ist das ein Problem, zumal auch die Politik in der Vergangenheit mitunter andere Erwartungen geschürt hat. Ich finde es aber im Grundsatz nachvollziehbar, dass die Politik diesen Schritt gegangen ist, angesichts des Ukraine-Kriegs und der daraus folgenden Energiekrise. Klar ist aber auch, dass die Betroffenen vor Ort das anders sehen.

Gibt es weitere Beschleunigungen?

Ja, zum Beispiel hat der Gesetzgeber einige Elemente aus dem Planungssicherstellungsgesetz dauerhaft ins NABEG übernommen. So müssen wir die sehr umfangreichen Unterlagen nicht mehr vor Ort auslegen, sondern nur noch auf der Internetseite veröffentlichen. Diesen digitalen Weg haben aber ohnehin die allermeisten gewählt. Dann gibt es noch eine Neuerung.

An welche denken Sie?

Die sogenannten Präferenzräume. Das betrifft alle Gleichstrom-Vorhaben, die künftig hinzukommen – also die wir brauchen, wenn wir 2045 den Strom tatsächlich nur noch aus erneuerbaren Energiequellen beziehen. Statt neue Leitungen über die Bundesfachplanung zu genehmigen, suchen wir als Bundesnetzagentur mögliche Räume dafür. Das sind die
Präferenzräume von etwa fünf bis zehn Kilometern Breite.

Man verkleinert sozusagen von vornherein die Räume, die Sie dann genauer untersuchen?

Genau. Es ist ja unwahrscheinlich, dass wir auf fünf bis zehn Kilometern irgendetwas Wesentliches übersehen. Siedlungsflächen oder ähnliches entstehen ja nicht über Nacht.

Eine Bundesfachplanung dauert mindestens zwei Jahre, eher
zweieinhalb. Die ließen sich in etwa einsparen, wenn das Verfahren mit den Präferenzräumen gut läuft.

Matthias Otte

Wie viel Zeit ließe sich denn durch die Präferenzräume gewinnen?

Nun, eine Bundesfachplanung dauert mindestens zwei Jahre, eher zweieinhalb. Die ließen sich in etwa einsparen, wenn das Verfahren mit den Präferenzräumen gut läuft.

Dezember 2022

Zur Person: Matthias Otte ist seit April 2015 Leiter der Abteilung 8 – Ausbau Stromnetze bei der Bundesnetzagentur, bei der er bereits seit 1998 tätig ist. Der Jurist informiert auch auf YouTube mit seinem Format „Otte erklärt’s“ zu Themen rund um den Netzausbau.

Alle Artikel im Überblick