Landschaftsveränderungen durch die Energiewende werden in vielen Regionen Deutschlands sehr emotional diskutiert. Während Windräder in manchen Regionen als willkommene Alternative zu Kohlekraftwerken oder Kernkraftwerken wahrgenommen werden, werden sie woanders als Verschandelung der Landschaft abgelehnt. Auch beim Stromnetzausbau werden Veränderungen im Landschaftsbild kontrovers diskutiert. Prof. Dr. Olaf Kühne von der Universität Tübingen forscht zu soziologischen Aspekten der Landschaft und des Landschaftsbildes. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt er, warum in den Diskussionen vor Ort unsere Vorstellung von „Heimat“ eine zentrale Rolle spielt.
Redaktion: Was ist denn eigentlich eine Landschaft?
Prof. Kühne: Der Begriff der Landschaft hat eine sehr lange Geschichte und reicht bis zurück ins frühe Mittelalter. Für die Entwicklung unseres Landschaftsbegriffes ist dann aber die Renaissance und die Romantik ganz wichtig. Durch die idealisierte Landschaftsmalerei jener Zeit veränderte sich unser Blick auf Landschaft insgesamt. Bis dahin hatten die Menschen die Natur nicht unter dem Gesichtspunkt „Was für eine schöne Gegend“ betrachtet. Erst mit den idealisierten Landschaften aus der Renaissance-Malerei haben die Menschen begonnen, diese Landschaften auch im physischen Raum zu suchen und zu erblicken. Im Zuge der mit der Aufklärung verbundenen Zivilisationskritik wird durch die Romantiker die ländliche Landschaft und die Synthese von Mensch und Natur schließlich zum Gegenbild von Industrialisierung und urbanisierten Räumen stilisiert. Unsere Untersuchungen zeigen immer wieder, dass unsere Vorstellungen von Landschaft sehr stark von der Romantik geprägt sind. Wenn wir heute Menschen fragen: „Gehört Stadt zur Landschaft?“, dann sagt die eine Hälfte „ja“ und die andere Hälfte „nein“. Auch das stereotype Bild vom Wald mit dem röhrenden Hirsch ist auch heute noch für viele Deutsche der Inbegriff der schönen deutschen Landschaft.
Redaktion: Was macht eine schöne Landschaft aus?
Prof. Kühne: JedeR von uns hat eine Geschichte und jedeR hat eine eigene Präferenz, was er oder sie mag oder nicht mag. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist Landschaft nicht ein objektiver physischer Raum, sondern wird von unterschiedlichen Menschen sehr unterschiedlich konstruiert. Das heißt: für den einen kann eine Landschaft mit Windkraftanlagen erhaben sein, für den anderen ist es die Technisierung des ländlichen Raumes. Das hat auch viel mit „Heimat“ zu tun, also der Landschaft, in der wir aufgewachsen sind und die uns deshalb vertraut ist.
Redaktion: Das heißt, wir finden Landschaften schön, wenn sie vertraut sind?
Prof. Kühne: Genau. Und dabei ist es völlig egal, ob das eine ländliche oder eine Industrielandschaft ist. Ich komme aus dem Ruhrgebiet und die dortige Landschaft mag für viele hässlich sein, für mich ist sie Heimat.
Redaktion: Also wird die Veränderung der Heimat von jedem anders empfunden?
Prof. Kühne: Immer dann, wenn sich vertraute Landschaft verändert, empfinden dies viele Menschen als Heimatverlust. Unsere Untersuchung zu den alten Industrieanlagen im Saarland hat gezeigt, dass sich die Menschen nicht nur an Eisen- und Stahlwerke gewöhnt haben, sondern das Ganze irgendwann auch zu ihrer Heimat machen. Wenn im Saarland oder auch im Ruhrgebiet jetzt irgendein altes Fördergerüst abgebaut werden soll, dann regt sich in der Bevölkerung Widerstand. Letztlich geht es also nicht darum, was gemacht wird. Der Widerstand ist darauf ausgerichtet, dass überhaupt etwas verändert wird.
Redaktion: Den Protest gegen den Abbau von Altindustrieanlagen und die Neuerrichtung von Windrädern führen Sie also auf einen empfundenen Heimatverlust zurück?
Prof. Kühne: Ja. Das zentrale Motiv für den Widerstand ist, dass sich die eigene Heimat nicht verändern soll. Weil der Veränderungsdruck durch fortschreitende Globalisierung und Beschleunigung der Lebenswelt immer größer wird, soll wenigstens unsere physische Umgebung dauerhaft stabil und vertraut bleiben. Deshalb ist beispielsweise auch der Protest gegen solche Veränderungen ein regionales Phänomen – wie man sehr anschaulich an der räumlichen Anordnung der Bürgerinitiativen gegen den Stromnetzausbau entlang der projektierten Trassen, wie z.B. beim SuedLink, erkennen kann. Aber, und das ist spannend: Sobald sich was verändert hat, möchte die Generation, die darin aufgewachsen ist, dann diese Landschaft „stabil“ halten. Insofern gibt es große intergenerationelle Unterschiede: während ein Großteil der von uns befragten jungen Menschen Windräder als „modern“ bezeichnen, findet ein Großteil der älteren Menschen diese als „hässlich“. Wenn in 50 Jahren eine neue, heute noch unbekannte Energiequelle alle unsere Energieprobleme auf einmal gelöst hat und Windkraftanlagen überflüssig geworden sind, dann garantiere ich Ihnen, dass es einen breiten Aufschrei gegen den Abbau der Windräder geben wird.
Informationen zur Person:
Olaf Kühne ist Professor für Stadt- und Regionalentwicklung an der Universität Tübingen. In seiner Forschung beschäftigt er sich stark mit Aspekten der sozialen Konstruktion von Landschaft. Dazu veröffentlichte er mehrere Fach- und Lehrbücher, unter anderem das 2013 erschienene Werk (2. Auflage in Druckvorbereitung, erscheint im Oktober 2017) „Landschaftstheorie und Landschaftspraxis“, in dem Kühne die historische Entwicklung des Landschaftsverständnisses beleuchtet, die Unterschiede sozialer Konstruktion von Landschaft aufzeigt und praktische Fragen zum Umgang mit Landschaft u.a. im Kontext der Energiewende behandelt.