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Interview: „Im letzten Drittel der Energiewende werden wir Wasserstoffspeicher definitiv brauchen.“

Wieviel Strom erneuerbare Energiequellen liefern, schwankt stark. Deshalb wird es künftig immer wichtiger, Strom auch über längere Zeiträume speichern zu können. Richard Hanke-Rauschenbach, Professor für elektrische Energiespeichersysteme und Leiter des Instituts für elektrische Energiesysteme an der Leibniz Universität Hannover, erläutert die verschiedenen Speichersysteme – und warum er den Stromnetzausbau für sinnvoll hält.

Herr Professor Hanke-Rauschenbach, mal direkt gefragt: Wie weit sind wir hier in Deutschland mit der Energiewende?

Richard Hanke-Rauschenbach: Wenn ich unsere Energiewende in drei Drittel unterteile, sind wir momentan am Ende des ersten Drittels. In dieser Phase konnten wir den von uns erzeugten erneuerbaren Strom sehr gut im Bedarf unterbringen. Es gab sehr selten Überschüsse, wir mussten also praktisch keine Energie speichern.

Das ändert sich im zweiten Drittel der Energiewende, oder?

Genau, in dieser Phase wollen wir den Anteil Erneuerbarer weiter steigern. Weil die Sonne eben nur am Tag scheint, werden wir tagsüber mehr Überschüsse haben. Umgekehrt entstehen Versorgungslücken, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Diese Lücken müssen wir dann statt wie bisher aus konventionellen Kraftwerken mit erneuerbarem Strom decken. Das geht aber nur, wenn wir den vorher eingespeichert haben.

Und worum geht es im letzten Drittel?

Aus Sicht der Speicher vor allem darum, Dunkelflauten aufzufangen, also Phasen mit kaum Wind und Sonne, die bis zu ein bis zwei Wochen dauern können. Speicher müssen in der Lage sein, Energie über diesen Zeitraum abzugeben oder auszuspeichern, wie wir das nennen. Ab 80 bis 100 Prozent Stromerzeugung aus Erneuerbaren kommt die Langzeitspeicherung mit Wasserstoff dazu. Der Anteil erneuerbarer Energien im gesamten Stromsystem liegt aktuell bei etwas über 40 Prozent.

Derzeit entstehen neue Stromleitungen, die den Strom vor allem aus Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee und im norddeutschen Flachland in die Verbrauchszentren im Westen und Süden der Republik transportieren werden. KritikerInnen des Stromnetzausbaus argumentieren, man könne doch einfach Strom aus Erneuerbaren lokal produzieren und speichern.

Sie spielen auf die Überlegung an, dass die einzelnen Regionen für sich operieren?

Genau, das sogenannte zelluläre Energiesystem.

Technisch ginge das, aber es wäre ungeschickt und würde uns am Ende mehr kosten. Man könnte Deutschland in kleinere Zellen aufteilen, die sich mit erneuerbaren Energien versorgen und überschüssige Energie speichern. Das bringt aber Probleme mit sich.

Welche?

Sind die Zellen zu klein und zum Beispiel auf ein Stadtgebiet begrenzt, geht die Bilanz nicht auf. In urbanen Gebieten gibt es gar keine ausreichend großen Flächen, um die benötigte Energie zu erzeugen. Die Zellen müssten wenigstens so groß sein, dass um einen urbanen Kern herum ausreichend Platz ist. Dann kommt das nächste Problem.

Wie speichern wir die Energie.

Exakt. Wenn sich manche Zellen zusammenschließen würden, wären deutlich weniger Speicher nötig, als wenn jede Zelle für sich arbeitet. Je mehr Speicher nötig sind, desto teurer wird das Ganze. Außerdem benötigt man zur Überbrückung längerer Zeiträume Wasserstoff als Speicher. Diesen muss man im Untergrund speichern. Das geht gar nicht überall in Deutschland, sondern hauptsächlich im Norden.

„Wenn ich ausreichend viel grünen und preisgünstigen Strom im Süden haben möchte, dann muss ich ihn teilweise aus dem Norden dahin transportieren.“

Prof. Dr.-Ing. Richard Hanke-Rauschenbach (Leibniz Universität Hannover)

Und die Zellen, also die kleinen Regionen, können nicht alle gleich gut Strom aus erneuerbaren Energien produzieren?

Nein, das Potenzial und auch die Kosten für die Erneuerbaren ist nicht überall gleich groß. In der Nordsee lässt sich Offshore-Strom sehr billig herstellen. Im Süden sieht das etwas anders aus. Dann müssten auch in den unterschiedlichen Zellen, also Regionen, unterschiedliche Preise gelten, eben weil die Bedingungen andere sind. Dies würde beispielsweise dazu führen, dass in Süddeutschland Strom teurer wäre als im Norden. Aber wir haben in Deutschland einen einheitlichen Strompreis. Kurzum: Wenn ich ausreichend viel grünen und preisgünstigen Strom im Süden haben möchte, dann muss ich ihn teilweise aus dem Norden dahin transportieren.

Und aus all diesen Gründen müssen die Übertragungsnetze von Nord nach Süd und West in Deutschland ausgebaut werden?

Genau, und das finde ich auch richtig. Der Stromnetzausbau hat zwei Komponenten: Um große Distanzen zu überwinden, bauen wir das Übertragungsnetz aus. Und das Verteilnetz bauen wir aus, um den Strom vor Ort nicht nur zu verteilen sondern auch besser einsammeln zu können. Zum Beispiel werden auch Solaranlagen von Privathaushalten an das Verteilnetz angeschlossen, die eben auch Energie einspeisen. So wird das Verteilnetz zum Einsammelnetz.

Wir müssen also unser Stromnetz ausbauen. Aber auch das Speichern von Strom über lange Zeit, wird im Zuge der Energiewende immer wichtiger. Sie erforschen Stromspeichersysteme. Die wichtigsten sind Pumpspeicher, Batteriespeicher und Wasserstoffspeicher. Welcher Speicher ist wofür geeignet?

Zunächst: Alle drei Speicher können Energie prinzipiell unbegrenzt lange und in unbegrenzter Menge speichern. Die Unterschiede bestehen darin, wie das technisch funktioniert. Daraus ergeben sich dann bestimmte Vor- und Nachteile. Pumpspeicher nutzen Energie, um Wasser einen Berg hoch zu transportieren. In diesem Wasser oben ist dann die Energie in Form sogenannter Lage-Energie gespeichert. Batterien wandeln elektrische in chemische Energie um und speichern diese dann selbst.

Und wasserstoffbasierte Speicher?

Die wandeln, ähnlich wie Batterien, bei der Elektrolyse elektrische in chemische Energie um, nämlich in Wasserstoff. Sie speichern die Energie aber nicht in einer kleinen Zelle, sondern zum Beispiel in einer Salzkaverne. Entscheidend ist aber etwas anderes.

Nämlich?

Die Kosten! Und die hängen davon ab, wie lange das Ein- und Ausspeichern der Energie dauern soll. Beim Speichern gibt es immer drei Phasen: Einspeichern, Halten, Ausspeichern. Das Halten können alle gleich gut. Beim Ein- und Ausspeichern gibt es Unterschiede. Pumpspeicher und Batterien geben ihre Energie bei Volllast über einen Zeitraum von 4 bis 10 Stunden ab. Für solche kürzeren Zeiträume sind sie die kostengünstigsten Varianten.

Nun sagten Sie aber, dass die Dunkelflauten ein bis zwei Wochen dauern.

Genau. Sollen Speicher Energie über solche Zeiträume abgeben, lässt sich das mit wasserstoffbasierten Speichern viel günstiger bewerkstelligen als mit den anderen.

Wie viel günstiger konkret?

Wenn ich einen Speicher bauen möchte, der über 14 Tage Energie ausspeichert, dann ist das mit einem Wasserstoffspeicher zwanzigmal billiger als mit einer Batterie. Volkswirtschaftlich betrachtet ist es ein riesiger Unterschied, ob wir 100 oder 2000 Milliarden Euro bezahlen müssen.

Ohne Wasserstoffspeicher also keine Energiewende?

Sagen wir es so: Wir bauen immer genau die Speicher, die wir brauchen. Wenn wir mit der Energiewende weiter vorangekommen sind, werden die Wasserstoffspeicher wichtiger werden. Definitiv brauchen werden wir sie im letzten Drittel der Energiewende. Im zweiten Drittel der Energiewende, das jetzt beginnt, geht es um den Tag-Nacht-Ausgleich. Immer mehr Privatpersonen haben eine Solaranlage auf dem Dach und einen kleinen Batteriespeicher im Keller. Im Prinzip brauchen wir in der kommenden zweiten Phase genau das, nur eben nicht nur für das Einfamilienhaus, sondern für ganz Deutschland.

Und dafür sind Pumpspeicher und Batterien ausreichend?

Ja, ich muss zwischen sechs und zwölf Stunden Energie abgeben und über sechs bis zwölf Stunden Energie einsammeln können. Wasserstoff wird man erst im letzten Drittel der Energiewende brauchen.

Vor allem aus Kostengründen?

Genau, Batteriespeicher und Pumpspeicher wären für so lange Speicherzeiträume zu teuer. Noch einmal: Entscheidend ist, dass Wasserstoff immer dann kostengünstiger ist, wenn ein Speicher die Energie über einen längeren Zeitraum abgeben muss. Wasserstoff eignet sich für dieses langsame Ausatmen, dass wir dann brauchen werden.

„Mit Wasserstoff werden wir das Speicherproblem im letzten Drittel der Energiewende lösen.“

Prof. Dr.-Ing. Richard Hanke-Rauschenbach (Leibniz Universität Hannover)

Viele versprechen sich noch viel mehr von Wasserstoff, er gilt zum Beispiel auch als Antrieb der Zukunft für Busse. Was macht Wasserstoff so außergewöhnlich?

Sein Potenzial ist gewaltig. Wir können mit Wasserstoff etwa in der chemischen und der Schwerindustrie von der fossilen Energie wegkommen. Für diese Zweige ist Wasserstoff ein sehr wichtiges Lösungselement. Defossilieren* können wir auch bestimmte Teile der Mobilität und zum Beispiel Busse mit Wasserstoff betreiben. Weil Wasserstoff eine höhere Energiedichte als eine Batterie hat, kann ich größere Reichweiten erzielen und größere Nutzlasten realisieren.     

Aber Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff, er kommt in vielen Farben.

Ja, zum Beispiel grau, blau und grün. Grauer ist konventioneller Wasserstoff aus Erdgas mit viel CO₂ im Gepäck, grüner ist aus erneuerbarem Strom. Wir brauchen definitiv den grünen, um die genannten Funktionalitäten, das Defossilieren der Mobilität, der chemischen Industrie und der Schwerindustrie und die Speicherfunktion hinzubekommen.

Für die Dekarbonisierung der Industrie und der Mobilität wird es riesige Wasserstoffmengen brauchen. Gibt es in Deutschland denn überhaupt genug Speicherplatz?

Die gute Nachricht lautet: Ja, den gibt es. Die geologischen Gegebenheiten sind hier in Deutschland für Wasserstoffspeicher günstig, vor allem der sogenannte Salzgürtel in Niedersachsen, Bremen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. In dieses Salzgestein lassen sich Wasserstoffkavernen einbauen. Das wird sicher auch geschehen.

Wie viel Energie können solche Kavernen speichern?

Sehr viel. Das Energiespeicherpotenzial in Form von Wasserstoff in Salzkavernen liegt bei etwa 3000 Terawattstunden. Das entspricht der 6-fachen Menge des momentan in Deutschland jährlich verbrauchten Stroms. Zur Einordnung: Alle Pump- und Batteriespeicher in Deutschland haben ungefähr eine Speicherkapazität von 70 Gigawattstunden. Das reicht etwa eine Stunde für die gesamte Bundesrepublik. Wasserstoffspeicher bieten ein Vielfaches. Um die gesamte heute verfügbare Speicherkapazität zu realisieren, würden zwei oder drei Kavernen reichen. Das ist gigantisch. Für Erdgas gibt es bereits rund 24 Milliarden Kubikmeter Speichervolumen in 240 künstlichen Kavernen. Darin kann man nach entsprechender technischer Umrüstung auch Wasserstoff speichern.

Kommen wir noch einmal auf die Stromspeicher zurück. In den vergangenen Monaten hat sich auf dem Energiemarkt einiges verändert und viele Menschen sorgen sich um die Versorgungssicherheit. Ist die bei erneuerbaren Energien wirklich gegeben?

Ja, wenn wir das Stromnetz ausbauen und das Speicherproblem lösen. Die Speicher sind mittelfristig, im zweiten Drittel der Energiewende, entscheidend. Ohne sie lässt sich künftig die Energienachfrage nicht decken. Fest steht aber, dass das auf erneuerbaren Energien basierende Energiesystem kostengünstiger ist als eines, das auf konventionellen Quellen basiert. Nachhaltiger ist es sowieso. Der Weg stimmt also. Wir wissen, wohin wir wollen. Jetzt müssen wir gemeinsam den Weg auch zu Ende gehen.

„Den Weg zu Ende gehen.“ Was wird sich dann alles verändert haben?

Wir werden Energie CO₂ -neutral bereitstellen. Wir werden nachhaltig und unabhängig von fossilen Energieträgern sein. Im Auto steckt dann eben eine Batterie und ein Elektromotor statt einem Tank und einem Verbrennermotor, und im Winter werden unsere Wohnungen warm und hell sein. Nur mit dem Unterschied, dass wir klimaneutral sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

*Der Begriff Defossilisierung beschreibt die Umstellung industrieller und technischer Prozesse mit dem Ziel, fossile Energieträger zu vermeiden und sie durch erneuerbare Alternativen zu ersetzen.

Zur Person:

Prof. Dr.-Ing. Richard Hanke-Rauschenbach arbeitet an der Leibniz Universität Hannover als W3-Professor für elektrische Energiespeichersysteme, zusätzlich leitet er das Institut für elektrische Energiesysteme. Er ist unter anderem Mitglied und Vorstandssprecher des Energieforschungszentrums Niedersachsen (EFZN) sowie Mitglied im Arbeitskreis Wasserstoff Niedersachsen.

Juni 2022

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