Das Planfeststellungsverfahren ist der letzte Schritt bei der Planung von Stromleitungen. Es bietet verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger. Zu den Details des Verfahrens haben wir Leena Jennemann, Expertin zum Thema Beteiligungsmanagement bei der Bosch & Partner GmbH, gefragt.
Redaktion: Wenn der Trassenkorridor für eine Stromleitung verbindlich festgelegt ist, beginnt das Planfeststellungsverfahren. Was passiert hier konkret?
Jennemann: Der Trassenkorridor ist etwa 500 bis 1.000 Meter breit. Im Planfest-stellungsverfahren geht es darum, den genauen Verlauf der Stromleitung innerhalb dieses Korridors festzulegen und das Bauvorhaben detailliert zu planen. Es wird also untersucht, wo genau und wie gebaut werden soll. Man spricht von einer ortskonkreten Planung. Dabei werden auch technische Details geklärt. Bei Freileitungen wird beispielweise entschieden, wo die Masten stehen, welche Masttypen verwendet werden und wie die Gründung der Masten erfolgt. Bei Erdkabeln ist zu klären, welche Kabeltypen und welche Verlegeverfahren zum Einsatz kommen.
Redaktion: Können Bürgerinnen und Bürger beim Planfeststellungsverfahren mitreden?
Jennemann: Ähnlich wie im vorangegangenen Bundesfachplanungsverfahren wird der vom Übertragungsnetzbetreiber eingereichte Antrag auf Planfeststellung veröffentlicht. Jedermann kann die Unterlagen einsehen. Anschließend finden öffentliche Antragskonferenzen statt. Dies ist in erster Linie ein behördlicher Termin. Der Übertragungsnetzbetreiber, die Bundesnetzagentur, die Träger öffentlicher Belange und die Umweltverbände tauschen sich darüber aus, welche Untersuchungen der Übertragungsnetzbetreiber vornehmen muss, damit die Bundesnetzagentur am Ende sachgerecht über den Antrag entscheiden kann. An diesen Antragskonferenzen können auch Bürgerinnen und Bürger teilnehmen, sie haben aber kein Rederecht.
Redaktion: Ist die Möglichkeit der Beteiligung damit abgeschlossen?
Jennemann: Nein, es handelt sich um ein mehrstufiges Verfahren. Nachdem der Übertragungsnetzbetreiber die geforderten Untersuchungen durchgeführt hat, übersendet er einen Planentwurf an die Bundesnetzagentur. Sind die Unterlagen vollständig, geht der Entwurf in ein Anhörungsverfahren. Die Planunterlagen werden erneut öffentlich ausgelegt und können von allen Interessierten eingesehen werden. Innerhalb der festgelegten Einwendungsfrist kann die Öffentlichkeit Hinweise an die Bundesnetzagentur schicken. Die Träger öffentlicher Belange werden explizit aufgefordert, Stellung zu nehmen. Anschließend findet ein Erörterungstermin statt. Hier können all diejenigen teilnehmen, die zuvor eine Einwendung oder Stellungnahme eingereicht haben. Beim Erörterungstermin werden die Anregungen und Bedenken gemeinsam mit den Behörden und dem Übertragungsnetzbetreiber besprochen. Anschließend verarbeitet die Bundesnetzagentur die im gesamten Verfahren gesammelten Informationen und erlässt den Planfeststellungsbeschluss. Dieser legt fest, ob und in welcher Ausführung das Vorhaben genehmigt wird. Im Planfeststellungsbeschluss wird auch erläutert, wie die Einwendungen und Stellungnahmen in die Entscheidung einbezogen wurden.
Redaktion: Werden die Einwendungen denn tatsächlich berücksichtigt?
Jennemann: Ja. Das Planfeststellungsverfahren soll die Bundesnetzagentur in die Lage versetzen, über die Zulässigkeit der Planung entscheiden zu können und gegebenenfalls Nachbesserungen zu erwirken. Dazu verlässt sie sich nicht allein auf die Unterlagen, die der Übertragungsnetzbetreiber vorlegt, sondern fragt Bürgerinnen und Bürger sowie Behörden und Träger öffentlicher Belange, die sich in der Region auskennen. Je früher die Hinweise kommen und je detaillierter sie sind, desto besser lassen sie sich berücksichtigen. Auch genaue Ortsangaben sind wichtig: Wo genau befindet sich das betroffene Grundstück? Wo genau wurde die geschützte Amphibienart gesichtet? Aus den Hinweisen werden zum einen Untersuchungsaufträge an den Übertragungsnetzbetreiber abgeleitet. Zum anderen berücksichtigt die Bundesnetzagentur die Hinweise bei ihrer letztendlichen Entscheidung zum Vorhaben. Meinungsäußerungen zur Energiepolitik oder zum Bedarf neuer Leitungen werden im Planfeststellungsverfahren nicht einbezogen. Entschieden wird nicht mehr über das „Ob“, sondern über das „Wo und Wie“ der Stromleitung.
Redaktion: Was muss bei Einwendungen noch beachtet werden?
Jennemann: Ganz wichtig: Es ist kein Abstimmungsverfahren. Unterschriftenlisten und vielfache inhaltsgleiche Einwendungen sind nicht zielführend, da diese im Verfahren nur als eine Einwendung behandelt werden. Es kommt auf den Inhalt an, nicht auf die Menge.
Viele Übertragungsnetzbetreiber holen selbständig Hinweise und Anregungen von Bürgerinnen und Bürgern ein, z. B. auf ihren Infomärkten. Dies ist begrüßenswert, da so schon frühzeitig auf Bedenken reagiert werden kann. Es lohnt sich dennoch, diese Anliegen, soweit sie noch bestehen, ebenfalls im Anhörungsverfahren des Planfeststellungsverfahrens mitzuteilen, damit die Genehmigungsbehörde ihre Entscheidung darauf aufbauen kann. Ansonsten gilt die Regel, dass Einwendungen so genau und konkret wie möglich sein sollten.
Redaktion: Wie erfährt man überhaupt, dass der Wohnort oder das eigene Grundstück vom Leitungsbau betroffen sein könnten?
Jennemann: Hier gilt es, Augen und Ohren offen zu halten. Oftmals weiß man durch die vorangegangenen Planungsschritte – wie die Bundesfachplanung – bereits, dass in der Region etwas geplant wird. Auf aktuelle Entwicklungen und die einzelnen Schritte des Planfeststellungsverfahrens weisen z. B. die örtlichen Tageszeitungen hin. Um auf dem Laufenden gehalten zu werden, kann man auch den Newsletter der Bundesnetzagentur abonnieren. Häufig richten auch die Übertragungsnetzbetreiber Veranstaltungen aus und betreiben Online-Portale, auf denen sie über Planungen und anstehende Verfahrensschritte informieren. Sobald die Antragsunterlagen und Planentwürfe veröffentlicht sind, sind sie auf der Internetseite der Bundesnetzagentur unter www.netzausbau.de einzusehen. In den beigefügten Karten sind der vorgeschlagene Verlauf der Leitung sowie Alternativen eingezeichnet. So lässt sich feststellen, ob das eigene Grundstück betroffen sein könnte.
Hinweis: Die Bundesnetzagentur ist nicht für alle Planfeststellungsverfahren zu Stromleitungen zuständig. Häufig werden die Verfahren auch von den Genehmigungsbehörden der einzelnen Bundesländer durchgeführt.
Zur Person:
Leena Jennemann ist Landschaftsplanerin bei der Bosch & Partner GmbH. Seit 2014 beschäftigt sie sich mit förmlichen Beteiligungsverfahren in unterschiedlichen Planungsprozessen. Im Rahmen des Einwendungsmanagements – u. a. zu Netzausbauvorhaben – befasst sie sich mit den Inhalten von Stellungnahmen und Einwendungen sowie mit deren möglicher Berücksichtigung auf den verschiedenen Ebenen der gestuften Planungsverfahren.