Nicht immer wird der Dialog gelingen. Aber von dem ernsthaften und ehrlichen Versuch wird es abhängen, ob das Ergebnis von möglichst vielen Menschen akzeptiert wird.
Professor Frank Brettschneider
Herr Professor Brettschneider, in Umfragen befürwortet die Mehrheit der Deutschen die Energiewende. Werden jedoch neue Windkraftanlagen oder der Bau von Höchstspannungsleitungen konkret, wächst der Widerstand der davon Betroffenen oftmals überraschend schnell. Wie erklären Sie sich das?
Das kommt gar nicht so selten vor – und ist als NIMBY-Phänomen bekannt. „Not in my backyard“ (wörtlich „Nicht in meinem Hinterhof“, Anmerkung der Redaktion): Man ist prinzipiell für die Energiewende, aber bitte nicht zu Lasten des eigenen Grundstückswertes oder zu Lasten der schönen Aussicht auf die Landschaft. Oft werden dann aber andere Gründe vorgeschoben: zum Beispiel Schattenwurf oder Infraschall. Manchmal wird die Energiewende befürwortet, aber es werden die technischen Lösungen in Frage gestellt. Da machen dann angeblich dezentrale Lösungen die Höchstspannungsleitungen überflüssig.
Gibt es weitere Gründe für Widerstand?
Nicht selten ist es das Gefühl, als Region benachteiligt zu werden. Man hat bereits viel liniengebundene Infrastruktur – Bahn, Autobahn, Gaspipeline. Und jetzt kommt auch noch die Strom-Überlandleitung dazu. Auch ärgern sich einige Menschen, dass sie im ländlichen Raum Infrastruktur „ertragen“ sollen, damit die Städte mit Strom versorgt werden. Also: Es gibt sehr viele Gründe, warum Menschen protestieren. Und wenn dann auch noch falsch kommuniziert wird, macht es das noch schlimmer.
Sehen Sie generell eine kommunikative Kluft zwischen PlanerInnen/Politik und BürgerInnen, wenn es um solch weitreichende Infrastrukturprojekte geht?
Ja, aber diese Kluft wird spürbar kleiner. Das hat zum einen damit zu tun, dass Vorhabenträger und Verwaltungen dazu gelernt haben. Es gibt heute zahlreiche Handreichungen, wie ein guter Dialog organisiert werden kann. Ich denke da beispielsweise an die beiden VDI-Richtlinien 7000 und 7001 oder an die Beteiligungsrichtlinie der Deutschen Bahn. Auch verfügen Vorhabenträger inzwischen über positive Erfahrungen, auf denen sie aufbauen.
Und zum anderen?
Zum anderen sind Bürgerinitiativen nicht mit „den BürgerInnen“ gleichzusetzen. Formate wie „Bürgerräte“, an denen zufällig ausgewählte Menschen teilnehmen, machen deutlich, dass es in „der“ Bürgerschaft oft sehr vielfältige und teilweise auch gegensätzliche Auffassungen gibt. Da sind die Bürgerinitiativen wichtig, aber die anderen Menschen eben auch. In jedem Fall gilt:
PlanerInnen sollten ihre Fachsprache so übersetzen, dass sie auch für Laien verständlich ist.
Professor Frank Brettschneider
Das Erläutern von Fachbegriffen gehört ebenso dazu wie das Arbeiten mit anschaulichen Visualisierungen.
Sie haben große Projekte wie „Stuttgart 21“ untersucht, ebenso kleinere wie den Bau einer Justizvollzugsanstalt in Rottweil. Was lässt sich daraus für die Kommunikation von Energiewende-Vorhaben ableiten?
Bei aller Unterschiedlichkeit der Projekte gibt es doch ein paar Regeln, die es erleichtern, gesellschaftlich tragfähige Lösungen zu finden. Zunächst einmal: Man sollte nicht einfach drauflos kommunizieren. Zu Beginn hilft immer eine Analyse: Wer sind die Anspruchsgruppen, die erreicht werden sollen? Welche Positionen haben sie? Welche Themen spielen im Zusammenhang mit dem eigenen Projekt eine Rolle? Nach dieser Stakeholder- und Themenfeld-Analyse kommt die Kommunikations-Planung.
Was gehört dazu?
Was sind die Kommunikations-Ziele? Was sind die Kernbotschaften? Und mithilfe welcher Kommunikations-Instrumente lassen sich die Botschaften transportieren – Print, Online, Präsenz-Veranstaltung oder gestreamte Veranstaltungen etc.? Neben diesem grundsätzlichen Vorgehen sind ein paar Grundprinzipien wichtig: Hilfreich für eine gesellschaftliche Verständigung sind Handlungsspielräume. Wenn schon alles entschieden ist, wäre ein Dialog nicht mehr sinnvoll. Aber je früher in einem Projekt miteinander gesprochen wird, desto mehr Spielräume gibt es noch. Neben der Frühzeitigkeit ist die Transparenz wichtig. Beispielsweise sollten Gutachten offengelegt werden. Das kann auch im Rahmen einer gemeinsamen Faktenklärung geschehen. Auch eine Aufgeschlossenheit für andere Meinungen sowie ein Dialog auf Augenhöhe sind wichtig.
Reicht ein „Dialog auf Augenhöhe“ aus Ihrer Sicht aus, um Konflikte zu entschärfen?
Der Dialog auf Augenhöhe ist sehr wichtig. Menschen wollen mit ihren Anliegen ernst genommen werden. Das heißt nicht zwangsläufig, dass ihre Anregungen umgesetzt werden müssen. Aber dann sollten VorhabenträgerInnen die Gründe dafür nennen. Oft erwachsen aus dem Dialog gerade mit den AnwohnerInnen ja auch Ideen, an welchen Stellen ein Projekt noch verbessert werden kann. Das allein reicht natürlich nicht aus. Auch nach dem allerbesten Dialog wird es noch Menschen geben, die gegen ein Projekt sind. Meines Erachtens sollten sich VorhabenträgerInnen auch nicht nur auf die KritikerInnen konzentrieren, sondern auf die vielen Menschen, die zu Beginn eines Projektes noch gar keine feste Position beziehen.
Lässt ein umfassender Austausch den Entscheidungsprozess nicht zu sehr ausufern?
Nein. Wir haben 97 VorhabenträgerInnen in Deutschland und in Österreich nach ihren Erfahrungen mit Dialog-Prozessen gefragt. Einige der zentralen Ergebnisse: In fast drei Viertel der Projekte ist der Nutzen der Kommunikation größer als die Kosten dafür. Kommunikation und Beteiligung sind also nicht nur gesellschaftlich sinnvoll, sie zahlen sich auch für die VorhabenträgerInnen aus.
Die freiwillige Kommunikation hat in zwei Drittel der Fälle das Projekt positiv beeinflusst.
Professor Frank Brettschneider
Bei Energieprojekten war der Einfluss der Projektkommunikation in 84 Prozent der Fälle übrigens besonders positiv.
Welche Effekte nehmen die VorhabenträgerInnen als besonders positiv wahr?
Die Akzeptanz in der Öffentlichkeit wurde erhöht. Das Vertrauen wurde gestärkt. Die Projektkommunikation hat Transparenz hergestellt und konnte Gerüchten und Ängsten entgegenwirken. Kritische Themen konnten im Dialog frühzeitig gelöst werden. Dies hat den Aufwand für die Bearbeitung von Beschwerden aus Politik und Bevölkerung reduziert.
Wieso kommt es dennoch zu Verzögerungen?
Vor allem die sehr langwierigen Genehmigungsprozesse sind ein echtes Problem. Gelegentlich auch gravierende Umplanungen, wenn Sie etwa an den Erdkabel-Vorrang bei Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen denken.
Die informelle Beteiligung verlangsamt in der Regel nicht. Das Motto sollte daher lauten: beteiligen und beschleunigen.
Professor Frank Brettschneider
Gibt es einen kommunikativen Königsweg, wie man AnwohnerInnen bzw. KritikerInnen den Bau von Windrädern oder den Bau von Höchstspannungsleitungen – beispielsweise in sensiblen Naturräumen – näherbringt? Wie lässt sich die Akzeptanz dieser Vorhaben steigern?
Eine Blaupause gibt es nicht. Dazu sind die Konfliktkonstellationen vor Ort zu unterschiedlich. Aber klar ist: Man kann gesellschaftlich tragfähige Lösungen finden. Aber das geht nicht ohne Kommunikation zwischen BürgerInnen, Verbänden, Initiativen, Vorhabenträgern sowie Politik und Verwaltung. Die Legitimation von Bau- und Infrastrukturprojekten beruht nicht nur auf gesetzlich vorgeschriebenen, formalen Rechtsverfahren. Sondern sie braucht auch eine frühzeitige und dialogorientierte Kommunikation. Ein transparenter Fakten-Check zu Beginn eines Projektes kann die Basis für konstruktive Gespräche schaffen.
Auch sollte das Projekt kommunikativ in die „größere Geschichte“ eingebettet werden – in die Energiewende. Nicht immer wird der Dialog gelingen. Aber von dem ernsthaften und ehrlichen Versuch wird es abhängen, ob das Ergebnis von möglichst vielen Menschen akzeptiert wird.
Professor Frank Brettschneider
Vielen Dank für das Gespräch
Mai 2021